CELINA GONZALEZ SUEYRO

The Spider and the Fly

16. Sep – 25. Nov 2017

Eröffnung am Samstag, 16. September, 2017, 19-22 Uhr


Von den Szenerien, die sich hinter den Fenstergittern und vor der Kulisse des Meeres
abspielen, können wir nur kleine Ausschnitte erspähen: freudige, zärtliche, mitunter
erotische Gesten wie das Streicheln eines Handrückens mit einer Feder, lustvolle
Luftsprünge, ein Beinpaar – ist es gespreizt? Oder gehören die Beine unterschiedlichen
Körpern an? Die Szenen der ​ Peepholes (2017) sind reduziert und wirken in ihrer
Konzentration wie Schlüsselszenen gleich mehrerer Geschichten. Kaum entspinnt sich eine
Narration, kann sich das Drehbuch unserer Vorstellung durch ein neu entdecktes Detail
wieder​ ​ vollkommen​ ​ verändern.

Die beiden Stuhlskelette der Arbeit ​ Luv und Lee (2017) mit ihren rundlichen, an Körper
erinnernde Formen und in das Holz eingeschriebenen Gebrauchsspuren wurden behutsam
ausgewählt. Wenige Eingriffe und ihr besonderes Zusammenspiel von Rhythmus,
Musikalität und taktilen Qualitäten haben sie zu einer poetischen Skulptur werden lassen,
die ein Eigenleben zu entwickeln scheint. Sind die beiden sich langsam hin und her
wiegenden Stühle platzsparend aufeinandergestapelt oder zärtlich ineinander verschlungen?
Handelt es sich um ein Liebesspiel oder – vor dem Hintergrund der einsamen Meereswogen
– doch nur um knarzende Stühle auf einem sich durch die Wellen bewegenden Schiff? Die
Arbeiten von Celina Gonzalez Sueyro spielen mit unterschiedlichen Assoziationen und
möglichen Bedeutungsebenen. Sie zelebrieren den Zustand der Uneindeutigkeit, der das
Potenzial​ ​ der​ ​ Möglichkeit​ ​ in​ ​ sich​ ​ birgt​ ​ und​ ​ unsere​ ​ Vorstellungskraft​ ​ herausfordert.

In der Ausstellung ​ The Spider and the Fly ​ begegnen wir wiederkehrenden Mustern, Netzen
und Strukturen, die für Orientierung, Halt und Struktur sorgen können, repräsentativen
Zwecken dienen, andererseits gar Fallen darstellen. Für die Arbeit ​ Ouverture Océane (2017)
wurde eine der ersten Seekarten von 1311 des Kartographen ​ Pietro Visconti in einen kleinen
Nähtisch aus Holz graviert. Sie zählt zum Ursprung der modernen Navigation und zu den
frühesten Dokumenten, auf denen die Küstenlinien exakt wiedergeben ​ und so Meere und
Landmassen erschlossen wurden​ . Die Arbeit ​ Pac-Man (2017) ist an den gleichnamigen
Videospiel-Klassiker angelehnt, bei dem die Spielfigur in einem Labyrinth von Geistern
verfolgt wird. Frisst sie jedoch eine ‚Kraftpille’, dreht sich das Rollenverhältnis für kurze Zeit
um und die fliehende Figur wird zum Jäger der Geister. Es ist dieser unerwartete
Rollenwechsel, die Veränderung von nur scheinbar festen Zuschreibungen, die Celina
Gonzalez Sueyro interessiert. Sie lässt auch den Zufall gern an ihren eigenen Arbeiten
mitwirken. Die von historischen Stoffmustern inspirierten Cyanotypien wurden Stück für
Stück direkt auf den Galeriewänden belichtet. Das Licht und der Moment schreiben sich in
die Wände ein, der Prozess hinterlässt sichtliche Spuren. Darauf angebracht sind ​ Mostro
Marino und ​ Die Muschelmänner (beide 2017), zwei Cyanotypien des eisernen Geländers
der von Schinkel entworfenen Berliner Schlossbrücke (1821-24). Zu sehen sind Ausschnitte
mythologisch-maritimer Motive wie Seepferde, Muscheln und griechische Meeresgötter, die
vor Ort mithilfe der Sonneneinstrahlung belichtet wurden. Das Meer als Sehnsuchtsort und

Das Spiel von Zeigen und Verbergen, das Wechseln zwischen intimer Zweisamkeit und
weiter Küstenlandschaft, zwischen Innen- und Außenraum evoziert immer neue Szenarien
und Atmosphären. Es eröffnet sich ein gedanklicher, visueller und physischer (Frei)Raum, in
dem eigene Anknüpfungspunkte, der Prozess und der Zufall ihre Plätze finden. So entsteht
ein Oszillieren zwischen Assoziationsräumen und Narrationen, ein Netz imaginierter Bezüge
zwischen den Arbeiten und Referenzen aus unserem Alltag und unserem kulturellen
Gedächtnis, das sich mehr und mehr verdichtet; und, wenn wir uns darauf einlassen, ein
lustvolles​ ​ Spiel​ ​ zwischen​ ​ dem​ ​ Werk​ ​ und​ ​ uns​ ​ Besucher_innen.

Isabelle Meiffert