DANIEL BRÄG, PHILIPP STÄHLE

- LE GRAND DIVERTISSEMENT - Daniel Bräg und Philipp Stähle - kuratiert von Dr. Olena Balun

01. Jun – 06. Jul 2024

FINISSAGE: Saturday ‭→ 06.07.24‭, 6-9 pm


KWADRAT Berlin

Le Grand Divertissement
Daniel Bräg und Philipp Stähle
kuratiert von Dr. Olena Balun

01.06. - 06.07.2024

„… und zu gleicher Zeit sah man aus der Allee zur Rechten die vier Jahreszeiten hervortreten: den Frühling auf einem spanischen Ross, den Sommer auf einem Elefanten, den Herbst auf einem Kamel und den Winter auf einem Bären. Die Jahreszeiten waren begleitet von zwölf Gärtnern, zwölf Schnittern, zwölf Winzern und zwölf Greisen. Sie stellten die Verschiedenheiten ihrer Jahreszeiten durch Blumen, Ähren, Früchte und Eis dar und trugen auf ihren Köpfen die Schalen mit dem Imbiss …“
aus der Beschreibung des Festes am Hof des Sonnenkönigs Louis XIV

Der Begriff „Diverstissement“ stammt aus dem französischen Barock und wurde ursprünglich für die Bezeichnung eines angenehmen Zeitvertriebs verwendet. „Le Grand Divertissement de Versailles“ hieß das legendäre Fest des Französischen Königs Louis XIV anlässlich des sog. Aachener Friedens, der den Erbkrieg zwischen Frankreich und Spanien 1668 beendet hatte. Diese Feier wurde zum Inbegriff der barocken Festkultur – prachtvoll, spektakulär und sorgfältig inszeniert. Für royale Divertissements wurden Opern komponiert, sie endeten in Bällen und wurden von Salutschüssen gekrönt. Sorgfältige und auch kontroverse Theatralik bestimmte viele Lebenssphären des Barocks. Keine andere Epoche wusste die Lust und auch die Körperlichkeit so zu zelebrieren, und keine andere produzierte so viele Benimmregeln. Man strebte unaufhaltsam nach geistiger und sinnlicher Perfektion und brachte Kunstwerke hervor von übertriebener Schönheit und bizarrer Anmut, während die Kriege und die Inquisition beispiellose Grausamkeiten verursachten – erstaunlich, wie viele Parallelen man zur heutigen Zeit feststellen kann. Barock war das Sinnbild des Schrecklich-Schönen, des übertrieben Perfekten mit einer seltenenen Ambivalenz des Unvereinbar-Untrennbaren, voller Idealismus, Mystik und Brüche. An diese Punkte knüpfen mehrere Gedanken in dieser Ausstellung an.

Schönheit in ihrer Fragilität und Vergänglichkeit sind Aspekte, die zentral für die ausgestellten Skulpturen von Daniel Bräg sind. Im Mittelpunkt seiner künstlerischen Praxis steht der Obstgarten. In Anspielung an das verlorene Paradies präpariert und sammelt der Künstler organische Natur in einem poetischen, doch wie Paul Bräg anmerkt, zum Scheitern verurteilten Versuch, ihr eine künstliche Ewigkeit zu verleihen.
In der Ausstellung werden blühende Kirschbaumzweige, eingelegt in Gelatine, in großen Einmachgläsern in Kühlvitrinen als „Kaltlandschaft“ präsentiert. Die Vitrinen sind nach Osten ausgerichtet, so wie man einen Garten anlegt. Der Herstellungsprozess ist sehr sinnlich. Früh am Morgen werden die Äste geerntet. Im Atelier werden sie passend geschnitten und für die Gläser zurechtgebogen. Die Blüten rieseln und duften, die Gelatine wird in Gläser eingefüllt. Die transparente, zähflüssige Masse legt sich geschmeidig um die Äste und schlägt Bläschen. Sie darf nicht zu heiß sein, sonst halten die Blüten die Farbe nicht.
In diesen Installationen konserviert Daniel Bräg die Schönheit der Pflanzen und rückt sie näher in unseren Blick. Die Gläser werden einzeln von unten beleuchtet, was ihnen einen sakralen Touch verleiht und die Kühlschänke wie Reliquienschreine erscheinen lässt. Die Mystik baut sich bei diesen Arbeiten in vielerlei Hinsicht auf. Bräg betreibt in seinem künstlerischen Alchemielabor ein raffiniertes Spiel mit der Zeit. Durch die Konservierung verlängert er den Augenblick und verleiht dem Verfall eine neue Qualität. In den Gläsern entsteht nach einer kurzen Zeit Schimmelbefall von überraschender Schönheit. Über mehrere Monate kann man die Vergänglichkeit der sich verändernden organischen Strukturen bewundern – ein sehr schönes Memento Mori, das etwa ein Jahr lang andauert, und auch ein raffiniertes Gegenbild zum allgegenwätigen Optimierungs- und Verjüngungswahn.

Philipp Stähle befasst sich in seiner Arbeit mit der Ambivalenz von Superlativen. Das Motiv der Berge ist beispielhaft hierfür. Sie stehen für Freiheit und Erhabenheit, aber auch für Erfolgsprojektionen und das Scheitern. In der Ausstellung zeigt er Landschaftsbilder vom bekanntesten Berg Hollywoods. Der Paramount Berg, den es nicht gibt. Er wurde für das Logo der Filmstudios nach einem Gemälde von Dario Campanile 1985 entworfen. Ein wichtiges Vorbild für Campanile war Artesonraju, einer der angeblich schönsten Berge der Welt. An Paramount ist vieles zeichenhaft. Selbst idiomatisch vermittelt das Wort eine Überlegenheit: „it's paramount“ heißt so viel wie „es ist von größter Bedeutung“. Als Produkt perfekt konstruierter Schönheit repräsentiert dieser Berg treffend einen Konzern der Traumfabrik, die das „Grand Divertissement“ unserer Zeit par excellence betreibt und Wunsch- und Erfolgsvorstellungen in die Welt projiziert. Erfolg und Größenwahn liegen nah beieinander. Leistungsdruck und Wettbewerb sind omnipräsent, alles wird ständiger Bewertung unterzogen, selbst Berge bekommen ein Ranking im Schönheitskontest. Man versucht alle Gipfel – wörtlich wie sprichwörtlich – zu bezwingen ohne Rücksicht auf Verluste, die längst evident sind, und vergisst, dass zum Bergsteigen auch Demut gehört. Stähle konterkariert diesen Superlativ. Auf klassische atmosphärische Landschaftmalerei setzt er Abdrücke von Bierkästen. Dahinter steht der Gedanke, mit einem möglichst unkünstlerischen Gegenstand, der die Absurdität der Konsum- und Produktionsgesellschaft spiegelt, in der Malerei einen Kontrapunkt zu setzen. Eine wichtige Referenz hierfür ist Kippenbergers „Alkoholfolter“ mit Bierdose und Heftpflaster als Antithese zur feinen Hochkultur und dem Erfolgsparadigma. Stähle nennt seine Reihe „Zu Niedrigerem berufen“ – man fühlt sich an „Höhere Wesen“ von Signar Polke erinnert. Titel sind für Stähles Arbeit wichtig, auch die Sprache für seine künstlerische Praxis im Allgemeinen. Den Berglandschaften stellt er Himmelbilder zur Seite, darauf Schriftzüge, die das Thema der beschleunigten Erfolgsgesellschaft weiterführen. Bemerkenswert für seine Arbeit ist, dass ihr trotz der kritischen Haltung didaktische Arroganz fehlt. Seine Werke sind ein ironischer Kommentar und bieten Anregungen für eigene Überlegungen.

Olena Balun