AGATHE FLEURY

LA DIVISION DE CASSINI

26. Mar – 25. Apr 2011

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Agathe Fleurys Atelier hat einen Riss. Es ist ein schmaler Spalt in der Wand neben dem Fenster, von der Decke bis zum Boden, gezackt wie ein Blitz. Fleurys Umgang mit dem Riss ist symptomatisch für ihr gesamtes Schaffen: Anstatt ihn zu kitten, hat sie ihn mit einer exakt 5 cm breiten Bleistiftmarkierung überspannt. So behält sie ihn im Auge, schaut, was passiert. Es ist eine kleine, aber interessante Intervention, die von einem ausgeprägten Interesse an ihrer Umwelt zeugt. Und von einer gewissen Faszination für Brüche.

So fungiert denn auch la division de Cassini als Namenspate für die Ausstellung der 1976 geborenen französischen Künstlerin. Die »Cassinische Teilung« bezeichnet die größte Lücke im Ringsystem des Planeten Saturn. Noch heute ist unklar, ob es sich um ein von einem Mond verursachtes Vakuum oder dunkle Materie handelt. Als der italienische Astronom Giovanni Domenico Cassini sie 1675 entdeckte, galt sie jedenfalls als leerer Raum. Ein »Nichts« im Weltall zu betiteln ? solche Kuriosa faszinieren Fleury.

Ihre Arbeiten stecken selbst voller Brüche. Für la réplique (2011) perforiert sie eine Baugerüststange ? sonst Inbegriff von Stabilität ? mit zahlreichen Kreisen. Es ist ein beinah gewaltsamer, physisch anstrengender Arbeitsprozess, der das Stahlrohr zu einem zerlöcherten und nunmehr instabilen Stück Metall macht. An die Wand angelehnt, wirkt es zerbrechlich ? man möchte fast sagen, verletzt.

Die Stange performt einen Akt der Balance. Auch andere Arbeiten spielen mit Gleichgewicht: Im Gang drängen sich Münzen aneinander, passgenau zwischen die Wände gespannt (équivoque, 2010), um die Ecke balancieren mehrere zu einem empfindlichen Geflecht verwobene Nägel (casse-tête, 2011). Besonders die Pyramiden-Arbeit (untitled_le tetraèdre, 2011) steht für tagelange Geduldsproben beim Versuch, mehr als 1200 Luftgewehr-»Diabolos« zu kontrollieren. Die für Schießübungen benutzten Projektile bestehen aus Blei, das einerseits noch immer den einzig bekannten Schutz gegen schädliche Strahlung darstellt, andererseits toxisch ist ? und wiederum traditionell mit dem Saturn in Verbindung gebracht wurde. So wird eine Bleivergiftung noch heute »Saturnismus« genannt.

Andere Arbeiten wiederum handeln von Wertverschiebungen. Das Video dilemma (2011) zeigt eine rotierende Münze. Der Zuschauer erfreut sich daran, wie elegant sie auf ihrem Rand tanzt, wie sie versucht, die Balance zu halten. Doch er weiß: Sie wird kippen. Und plötzlich ist sie viel mehr wert als 2 Euro, denn sie entscheidet: Kopf oder Zahl.

Die Objekte verbindet, dass sie aus dem Kampf um die Balance ihr ästhetisches Kapital schlagen. Fleury entpuppt sich dabei nicht nur als verursachende Agitatorin, sondern ebenfalls als feine Beobachterin. Es ist wie mit dem Riss in der Wand: Sie schaut mal. Vielleicht passiert da etwas.

Stefanie Gerke