Es überwiegt eigentlich beides

LUKAS GLINKOWSKI, CELINA GONZALEZ SUEYRO, MIRIAM JONAS, TIMO KLOEPPEL, JORGE LOPES, MARIANNE THOERMER

08. Dec 2016 – 12. Jan 2017

Es überwiegt eigentlich beides, exhibition view Celina Gonzalez Sueyro, o.T. Lukas Glinkowski, Tunnel, 120 x 120 cm, 2015 Miriam Jonas, Fugenspieler / kinetische Audioskulptur, 2015-2016 Jorge Lopes, Two eggs and a fef balls, 210 x 190 cm, 2008-2016 Es überwiegt eigentlich beides Marianne Thoermer, o.T, 2015 Es überwiegt eigentlich beides, exhibition view Timo Klöppel, Das experiment mit den 12, 365 x 200 x 110 cm, 2016 Es überwiegt eigentlich beides, exhibition view

Kuratiert von Philip Grözinger und Peter Ungeheuer


Es überwiegt eigentlich beides. Der Ausstellungstitel behauptet eine Dichotomie, die im selben Moment ad absurdum geführt wird. Das ist insofern interessant, als es zum Wesen von Dichotomien (griechisch dichótomos für halbgeteilt, in zwei Teile gespalten) zu gehören scheint, dass sie in letzter Konsequenz nicht haltbar sind. Lassen sich bspw. Subjekte und Objekte noch eindeutig voneinander trennen? Sie beeinflussen sich gegenseitig und erst ihre wechselseitige Wirkung lässt eine Atmosphäre entstehen. Die Atmosphäre hier im Ausstellungsraum bspw. wird sowohl durch die Objekte – die kakophonischen Kratzgeräusche des Fugenspielers, die Materialität der Fliesen der Arbeit Tunnel, die glatt verputzten Galeriewände etc. – als auch durch Sie, die Besucher_innen, ihre Stimmungen, Bewegungen im Raum etc. bestimmt und geht erst in ihren Interdependenzen auf. Auch die Dichotomien Künstlichkeit – Natürlichkeit oder Mann – Frau haben heute durch das Wissen um ihre Zwischenformen – man denke bspw. an Genmanipulation, Cyborgs und Intersexualität – an Gültigkeit verloren. Die Dichotomie-Kritik ist eine, die genau hinschaut, scheinbare Gegensätze de-konstruiert, Grau-Bereiche aufzeigt und Vorurteile auflöst. Das lässt sich auf die künstlerischen Arbeiten dieser Ausstellung übertragen.

Tunnel von Lukas Glinkowski spannt einen großen Bogen zwischen Minimal-Art und Street Art, damit auch zwischen urbanem Raum und White Cube. Man könnte seine Arbeiten fast für Readymades aus dem Stadtraum halten. Doch es sind Nachbauten, die an bestimmte Orte erinnern. Ihre Architektur mitsamt den eingeschriebenen Spuren lässt unterschiedliche Perspektiven auf den jeweiligen Ort erahnen und ihre ganz eigene Poesie entfalten.

Timo Klöppel (Mitarbeit Johannes Jörg Schmidt TF) arbeitet häufig ortsbezogen, indem er Grundelemente architektonischer Räume verändert und dadurch körperlich erfahrbare Irritationen schafft. Ein Dielen-Fußboden bekommt die Form einer Welle, Wände stehen nicht mehr senkrecht oder werden durch hinterleuchtete Fenster ersetzt. Für diese Ausstellung hat er eine Skulptur geschaffen: Ihr Sockel ist um etwa 8° in die eine, Tisch und Bank sind im selben Maß in die entgegengesetzte Richtung geneigt, sodass ihre Oberflächen wieder im Lot sind und die Blumen in den Bembel Krügen sicher stehen. Die Arbeit ist von seiner Atlantiküberquerung inspiriert. Ob ihr Titel Das Experiment mit den 12 Überlieferung, gelebte Erinnerung oder Handlungsoption ist, bleibt offen.

Der Fugenspieler der Bildhauerin Miriam Jonas ist eine skulpturale Sound-Arbeit, die sich im Raum ausbreitet und in jedem Moment anders klingt. Zwei umgebaute Schallplattenspieler spielen eine Fuge (lat. fuga für Flucht), eine schmale Spalte, ein Dazwischen aus Ton, das sich abnutzt und den Sound des Duetts permanent minimal verändert. So wird nicht nur der klassische Skulpturenbegriff befragt, sondern die Aufmerksamkeit auf den Zwischenraum gerichtet, indem ihm eine Stimme verliehen wird.

Die große Leinwandarbeit von Jorges Lopes bleibt ebenso uneindeutig. Sie vereint figurative und abstrakte Elemente, von denen einige erst auf den zweiten Blick erkennbar sind. Lopes hat einen spielerischen Umgang mit der Malereigeschichte. Er streut ihre Sprache als Zitate ein – geometrische Formen wie Kreise und Linien oder figurative Elemente wie Totenköpfe und einen gekreuzigten Jesus –, verbindet sie mit gestischen Formen und schafft so harmonische Brüche und Irritationen. Der humorvolle Titel Two Eggs and a Few Balls spielt nicht nur wörtlich auf Elemente im Bild an, sondern auch auf den Mut, mit dem er der Malerei begegnet, die er lustvoll erforscht.

Die textile Arbeit von Marianne Thoermer basiert auf einer digitalen Zeichnung. Pixel werden durch Knoten ersetzt, Technologie und traditionelle Handarbeit miteinander verknüpft und damit maschinelle und menschliche Arbeit. Die Kombination von festen Strukturen mit organischen Formen, von harten und weichen Materialien führt das Spiel mit Gegensätzen fort, das je nach Konstitution ihrer Betrachter_innen Spannung, Erregung, Unbehagen oder neugierige Unruhe hervorzurufen vermag.

Die Cyanotypie der Serie Gates of Paradise von Celina Gonzalez Sueyro thematisiert eine Schwelle, ein sowohl zeitliches wie räumliches Davor und Danach. Das titelgebende Tor zum Paradies bezeichnet die Grenze von zwei Realitätsebenen. Seine floralen Ornamente erinnern an das Paradies als Garten Eden, wecken Sehnsüchte an eine konstruierte Idylle und verdeutlichen doch, dass ein Eintreten unmöglich ist.

Die Arbeiten vereint das Spiel mit Ambivalenzen, mit gegensätzlichen Polen und mit der Frage nach ihrem Zwischenraum. Die Künstler_innen der Ausstellung haben jeweils ihre ganz eigene Sprache gefunden, mit der sie diesen Fragestellungen nachspüren. Ihre Beobachtungen sind aufmerksam und ihre Arbeiten entfalten mannigfaltige, vielfach poetische Bezüge zur Wirklichkeit, die unsere eigenen Kategorien und Denkmuster reflektierbar machen.

Isabelle Meiffert